Orte und Menschen – Erzählungen
Autorentreff Bad Camberg bringt neue Anthologie heraus
Orte und Menschen – in diesen Tagen erscheint die Anthologie des Autorentreffs Bad Camberg e.V. und ich freue mich, dass ich auch mit einer Geschichte in der 7. Anthologie des Vereins vertreten bin.
Heute stelle ich Euch die Anthologie, den Verein und meine Geschichte in Form einer Leseprobe vor.
Orte und Menschen – zum Inhalt
Rechtzeitig zur Weihnachtszeit ist jetzt die neue Anthologie des Bad Camberger Autorentreffs erschienen. Es ist bereits die siebte Anthologie seit der Gründung des gemeinnützigen Vereins im Jahre 2011. Von den inzwischen über 30 Mitgliedern des Vereins haben sich an dieser Anthologie 12 Autorinnen und Autoren beteiligt. Sie kommen alle aus den Landkreisen Limburg-Weilburg, Rheingau-Taunus und Main-Taunus. Dem Verein ist es so gelungen, vielfältige und bunte Geschichten
zusammenzustellen, die einen Bezug zu einem Ort haben.
Dies sind sowohl Großstädte wie Buenos Aires, Rom oder Frankfurt, aber auch kleinere Orte, wie Eppstein im Taunus, das Residenzstädtchen Weikersheim im Taubertal oder ein beschauliches Dorf in Franken.
Eines haben die Geschichten und Orte gemeinsam: Stets erleben die Protagonisten Momente des Glücks, aber auch Ungewöhnliches und manchmal sogar das Unheimliche. Den Leserinnen und Leser bietet sich so die Gelegenheit, mit den Protagonisten zusammen durch Städte und Dörfer zu schlendern und dabei vielleicht auch Neues oder Unbekanntes zu entdecken. (Textquelle: Pressemeldung des Bad Camberger Autorentreffs).
Orte und Menschen – zum Cover
Lia Thoma hat das wunderbare, farbenfrohe Cover für diese Anthologie erschaffen. Sie ist als Diplom-Logopädin tätig. Die in Rio de Janeiro geborene Brasilianerin lebt seit 1988 in Kelkheim/Ts und arbeitet mit Öl, Aquarell, Zeichnungen, Seidenmalarei und Terrakotta.
Lia ist Kuratorin von „Arte do Brasil“ (Brasilianischen Künstler) und hatte bisher Ausstellungen in Paris, Lissabon, São Paulo und Deutschland. Ich kannte Lia bereits von der Aktion aus 2023 in Eppstein, wo Stromkästen bemalt wurden von regionalen Künstlern.
Orte und Menschen – zum Verein
Orte und Menschen – eine Leseprobe
Als mich Karl-Heinz Harpf, der 1. Vorsitzende des Vereins, bei der Buchmesse in der Nidderau im April 2024 ansprach, ob ich gern einen Text zur Anthologie beisteuern mag, war ich begeistert, denn ich hatte sofort die Vision von einer fiktiven Geschichte, die in Eppstein spielt. Hier eine kleine Leseprobe.
Eppsteiner Geflüster
Es war der dritte Freitag im Dezember gegen 10 Uhr am Morgen. Brav ließen die Tal- und die
Laurentius Kirche ihre Glocken ertönen, was nicht nur in der Eppsteiner Altstadt, sondern im
ganzen Tal zu hören war. Vom Himmel rieselte der erste Schnee des Winters auf die Stadt
hinunter.
„Achtung, Türme, jetzt beginnt der Winter, ich selbst habe eben die ersten Schneeflocken
auf meinem roten Dach gespürt“, schallte es vom Berg Staufen herunter.
„Guten Morgen, Kasi. Rechtzeitig zum Weihnachtsmarkt der Morgen beginnen soll, ist das
schön“, rief Friedel zurück über das Tal.
Schon senkte sich die erste Schneeflocke auch auf seiner Plattform ab. Er lag höhenmäßig
einige Meter tiefer als sein Freund Kasi, der ehrwürdige Kaisertempel. Der graue, runde
Turm auf dem immer die Eppsteiner Fahne im Wind flatterte, war der Bergfried von Burg
Eppstein, also der Hauptturm der Burganlage.
„Hoffentlich wird es kein Glatteis geben, wenn an den beiden nächsten Tagen viele Besucher
in unsere schöne Stadt zum Weihnachtsmarkt kommen“, wisperte Bub leise vor sich hin,
aber Friedel hörte es dennoch. „Bub“ war der Bettelbub, ein weiterer Turm der Burganlage.
Er war schlank und trug im Gegensatz zum Bergfried ein kleines Dach.
„Du immer mit deinen Ängsten“, bekam er von Friedel zur Antwort.
„Ich kann nun mal nicht aus meiner Haut. Ich war so lange Jahre ein Gefängnisturm. Und die
Menschen, mit ihren Gefühlen und Emotionen, die in mir ihre Strafen absaßen, prägen mich
bis heute.
„Mir ist das egal“, halte es vom Jähenberg, der auf der gegenüberliegenden Seite des Hangs
lag, herüber. „Im Winter bekomme ich hier oben ohnehin gar keinen Besuch mehr.“
„Ach Neufi“, seufzte Kasi. „Du bist immer noch frustriert, dass du keine weiteren
Sanierungsfortschritte in diesem Jahr gemacht hast, was?“
Der steinerne, hübsche Turm mit seinen markanten Mauern antwortete nicht, sodass sich
schließen ließ, dass Kasi genau richtig lag mit seiner im Prinzip rhetorischen Frage.
Vor drei Jahren hatte die Stadtverordnetenversammlung bereits die Sanierung der „kleinen
Burg“, wie der Neufville-Turm auch oft genannt wurde, beschlossen. Aber viel war auch
dieses Jahr nicht passiert. Kasi und Neufi kannten sich seit weit über 100 Jahren, waren sie
doch im selben Jahr errichtet worden. Deshalb schwieg Kasi nun auch. Einst war der
Neufville-Turm von der Familie Neufville als Sommerresidenz erbaut worden, um hier ihre
Jagd- und Kunstausstellungen zu präsentieren. Die vergangenen Tage mit Glanz und Gloria
wechselten im Laufe der vielen Jahre. Als 2016 sein Mieter endgültig ausgezogen war, legte
sich über den sonst so stolzen Turm eine gewisse Traurigkeit und Einsamkeit.
Kasi hatte Ähnliches in der Vergangenheit erlebt. Neben ihm befand sich ein Restaurant,
welches auch lange Zeit leer gestanden hatte. Natürlich besuchten Wanderer in der Zeit
trotzdem seine Plattform, die mit vier weißen, eindrucksvollen Säulen gestützt, einen
fantastischen Blick auf die Altstadt von Eppstein bot, doch es waren deutlich weniger
Besucher als sonst. Heute kommen bei gutem Wetter oder auch zu Silvester die Menschen in
Scharen und nicht ein Besucher verlässt das Lokal wieder, ohne einen Blick von seiner
Plattform nach unten zu werfen. Mit seinen römischen Säulen war er auch ein beliebter
Treffpunkt für Liebespaare, die sich hier das erste Mal romantisch küssten. So war er in all
den Jahren seit seiner Erbauung zu einem wahren Romantiker geworden. Besonders
interessant fand es der Tempel, wenn sich Pärchen bei ihm trafen, die eigentlich nicht
zusammengehörten. Das kam öfter vor.
Kasi kannte die örtlichen Einwohner bestens. Er sah sie jeden Tag durch die Straßen fahren
und gehen, wie sie in ihren Gärten vor dem Haus werkelten und im Sommer in den örtlichen
Restaurants in der Altstadt speisten. Aber er war trotz seiner starken Empfindungen auch
sehr verschwiegen. Nie tratschte er mit den Türmen über seine abendlichen oder
nächtlichen Besucher. Das ging sie auch nichts an, fand er und behielt es so als sein
Geheimnis.
Währenddessen beobachtete Friedel interessiert das emsige Treiben in der Burgstraße
sowie auf dem Gottfried- und dem Wernerplatz. Die ersten kleinen Holzbuden für den
Weihnachtsmarkt waren schon errichtet worden. Noch konnte man mit dem Auto durch die
Burgstraße fahren, aber schon morgen früh würden beide Zufahrten gesperrt sein und die
Altstadt würde sich – wie jedes Jahr – in eine kleine Fußgängerzone verwandeln. Leckere
Gerüche wie der Duft von frisch gebrannten Mandeln und gegrillten Würsten würden dann
zu ihnen hinaufziehen. Später, an den Abenden, würde es auch Musik auf den Plätzen und
Gesänge in der Talkirche geben.
„Irgendwie ging das Jahr wieder zu schnell vorbei. Findest Du nicht auch, Friedel?“,
jammerte Bub.
„Ja, irgendwie schon, aber uns gibt es doch so lange. Überlege, wann wir erbaut worden
sind. Da kommt es auf ein weiteres Jahr nicht an. Und denk nur daran, wie schön es am 1.
Mai in diesem Jahr war, als das Radrennen wieder durch die Burgstraße führte. Da kamen
ganz viele Besucher nach Eppstein und einige nutzten den Ausflug auch, um uns hier oben
aus der Nähe zu betrachten. Oder überlege, dass wir nun zu unseren Füssen einen neuen
Spielplatz im Ritterlook haben und sogar eine Boule-Bahn.“
„Das kann ich nicht sehen, dafür bin ich nicht hoch genug“, erinnerte Bub. „Aber du hast
recht, auch die Feste waren so toll in diesem Jahr gewesen. Besonders natürlich das Fest der
Vereine am Himmelfahrtstag und das Burgfest im August zum 50-jährigen Bestehen des
Vereins.“
„Aber, ich habe dir doch genau beschrieben wie der Spielplatz und die Boule-Bahn
aussehen.“
Manchmal war der gutmütige Friedel nahe daran bei seinem Freund die Geduld zu verlieren.
„Ja.“
Bub klang nun kleinlaut.
„Und du hast deine Trickfilmprojektion in deinem Turm eingebaut bekommen, sodass viel
mehr Menschen als sonst in dich hineingehen“, erinnerte Friedel seinen treuen Freund und
versuchte so einen letzten Versuch der Aufmunterung.
Die beide Türme waren deutlich älter als Kasi und Neufi, nämlich aus dem 10. Jahrhundert.
Eins hatten die drei Türme und der Tempel aber gemeinsam, so unterschiedlich sie auch
waren. Sie liebten Menschen und sie liebten es, sie als vermeintlich stille Zeitzeugen zu
beobachten Doch untereinander waren sie selten still. Menschen waren es, die sie erhielten,
ihre Historie schätzten und dafür sorgten, dass sie auch für kommende Generationen am
Leben blieben. Ein wenig verliebt waren sie alle in die örtliche Museumsleiterin. Diese
veranstaltete regelmäßig im Frühjahr und im Herbst verschiedene Themenführungen zu
ihnen. Die Frau konnte einfach auf einzigartige Weise Geschichte vermitteln. Auch den
Eppsteiner Burgschauspielern, der Eppsteiner Rotte und dem Burgverein waren sie mehr als
zugetan, denn diese ließen ihre Geschichte, nicht nur bei den Führungen und Aktionstagen,
aufleben und entführten Besucher und auch Einheimische in ihre früheren, geschichtlichen
Zeiten.
„Die Jungs gehen mir heute wieder tierisch auf meine Glocken, speziell auf die
Gedächtnisglocke“, flüsterte die Talkirche ihrer Freundin Lauri, der St. Laurentius Kirche zu,
die nur 100 Meter von ihr entfernt in der Burgstraße stand…
Die Anthologie „ORTE UND MENSCHEN“ ist im Detmolder Prinzengarten Verlag unter der
ISBN-Nr. 978-3-89918-527-0 erschienen. Die Anthologie ist ab sofort für 12 € sowohl im Buch-
handel aber auch direkt über den Prinzengarten Verlag erhältlich.