Sicherheit und andere Pannen – Das Schiff ist weiblich – die Kolumne! Folge 2
Sicherheit und andere Pannen

Der erste crew alert!
Sicherheit und andere Pannen! „Crew alert, crew alert, crew alert for exercise. All crew please proceed the masterstation. Crew alert, crew alert, crew alert for exercise.“ Mein Herz blieb für einen Moment stehen. Aha, dachte ich so bei mir, so hört und fühlt sich also ein Alarm an. Ich saß, zusammen mit 25 anderen, neu aufgestiegenen Crewmitgliedern, auf Deck 3 in einem Schulungsraum. Neben mir ein philippinischer Mitarbeiter aus dem Housekeeping, auf der anderen Seite ein israelischer Sicherheitsoffizier. Wir alle waren zur gleichen Zeit auf das Schiff aufgestiegen und befanden uns in unserer ersten Woche an Bord.
Der Safety Officer (Sicherheistoffizier) stand vorn und erklärte uns anhand einer Tabelle, was unsere Sicherheitsnummer auf der Manningliste bedeutete. Das war nämlich so: Steigt ein Crewmitglied ab, muss zur gleichen Zeit ein neues Crewmitglied aufsteigen, um die Sicherheitsrolle zu erfüllen. Und das musste ab dem ersten Tag trainiert werden. Notfälle können immer passieren und warten nicht, bis der Mitarbeiter sich eingearbeitet hat. Okay, ich war also für Station X Deck 6 Steuerbord, 3. Ebene zuständig. Ich würde im Notfall eine Liste haben und die Gäste, bevor sie ins Rettungsboot einsteigen auf meiner Liste abstreichen. Soweit die Theorie.
Sicherheit und andere Pannen – im Rettungsboot
Das ich dort mit einer Liste vor einem Rettungsboot stehen könnte, ist gewiss. Ob ich im Notfall alle abstreichen kann, sei dahin gestellt. Jeder der neuen Crewmitglieder bekam hier seine Aufgabe erklärt – in der Theorie. Danach gingen wir alle zusammen über das ganze Schiff, mit Rettungswesten bewaffnet, um uns unsere Station in Ruhe anzuschauen. Wo waren welche Feuerlöscher? Mit welchem Löscher kann ich welchen Brand löschen? Wo sind wasserdichte Türen und wie öffnen und schliessen sich diese? Dazu stets Funkkontakt mit der Brücke über Walkie Talkie halten -puh, das war alles ganz schön komplex. Auf Deck 6 angekommen, durften wir uns auch einmal in ein Rettungsboot setzen. Ganz schön klein und sicher auch beengend, wenn das mal im Notfall komplett besetzt ist. Der Safety Officer erklärte: Unter dem Sitz haben wir folgende Ausrüstungsgegenstände: Eine Angel, abschießbare Feuerwerkskörper, getrocknete Lebensmittel, Wasserrationen, Decken und Taschenlampen.
Ich war ganz schön erstaunt und mich beschlich ein mulmiges Gefühl: Hoffentlich würden wir nie in eine Notsituation geraten. Das ich einmal nur knapp einer solchen Evakuierung entkommen würde, wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Wir stiegen also wieder aus und setzten den Rundgang fort. Rettungsflösse und Rettungsinseln wurden uns gezeigt, anschließend schauten wir uns einen Film dazu an. Einige Papiere zum Durchlesen wurden ausgehändigt und bald gab es einen umfangreichen Test auf Englisch, den alle erfolgreich absolvieren mussten. Dreimal durchfallen hieß absteigen.
In machen Häfen hatten wir sogar das Vergnügen, die Boote zu laschen und mit ihnen im Hafenbecken eine Runde zu fahren, denn auch der Motor musste ab und an getestet werden, damit er im Notfall auch anspringt. Puh, irgendwie hatte ich nicht gedacht, dass ich neben meinem eigentlichen Job noch einen zweiten haben werde. Sicherheit wird bei allen Reedereien sehr gross geschrieben. Drillartig wurden diese Übungen jede Woche mehrmals zu verschiedenen Tages- und Nachtzeiten wiederholt, bis es uns in Fleisch und Blut überging. Ein entschuldigtes oder unentschuldigtes Fehlen gab es nicht. Wenn man nicht erschien, gab es eine Abmahnung. Das stand ganz klar in der Bordordnung geschrieben.
Sicherheit und andere Pannen – die Bordordnung
Die Bordordnung war so etwas wie das Gesetzbuch. Der Kapitän hatte die Verantwortung für Schiff und Besatzung. Ihm zur Seite stand ein Staff-Capitän, der die rechte Hand des Kapitänes war. Mit ihm zusammen und dem HR Manager an Bord wurden alle Regelverstöße aufgenommen. Die Bordordnung regelte aber nicht ausschließlich die Sicherheitsübungen. Auch Themen, ob Alkohol on- und off duty getrunken werden durfte, wann man in Passagiers Kabinen durfte ( bei Besuch von Familienmitgliedern), was passierte, wenn ein Crewmitglied beim Drogentest durchfällt und so weiter enthielt diese. Also, Bordordnung = Strafgesetzbuch. Ich denke, es macht Sinn, solche klaren Regeln und Hierachien zu haben. Immerhin waren wir bis zu 1.200 Crewmitglieder auf dem Schiff, was schon die Dimension von einem kleinen Dorf hatte. Und dort gab es, wie im „richtigen“ Leben an Land auch, eben nicht nur Harmonie.
Was passiert während der Seenotrettungsübung?
Bei der Seenotrettungsübung erfahren Gäste, wie sie sich in einem Notfall verhalten sollen. Dazu gehört auch, dass der Generalalarm, bestehend aus sieben kurzen und einem langen Signalton, auf dem gesamten Schiff zu hören ist und damit die Passagiere auffordert, zu ihren Sammel- beziehungsweise Musterstationen (Englisch: Assembly Station) zu gehen. An Bord von Kreuzfahrtschiffen müssen mehr Rettungswesten als Menschen sein. Gerade an den Sammelplätzen sowie an zentralen Treffpunkten finden sich weitere Rettungswesten, die im Notfall leicht zugänglich sind und von der Crew verteilt werden können.
Sicherheit und andere Pannen – die Messen
Nach dem Rundgang konnten wir uns alle erst einmal bei einem Mittag essen zusammen entspannen. Hierfür hatten wir an Bord bei der Crew verschiedene „Messen“. Es gab die normale Crew-Messe, wo alle essen konnten. Hier traf man immer jemanden zum unterhalten, was ich am Anfang für mich ganz entspannt fand. Nach einer gewissen Zeit war ich manchmal allerdings auch froh, mal nicht reden zu müssen, sondern einfach nur vor mich hin zu dinieren.
Ich fand es oft sehr erschreckend, wieviel Reis unsere asiatischen Mitarbeiter, meist aus den Philippinen, verschlangen. Ich habe den Reis mit den verschiedenen Sossen auch mal probiert, es war lecker. Aber leider nicht so würzig wie mit Curry, wie ich es von Indien her kannte. Ansonst bereitete der Crew Koch auch noch für die „restliche“ Besatzung jeden Mittag zwei Essen zu. Meist deutsche Hausmannskost. Neben der allgemeinen Crewmesse gab es noch eine Staff-Messe, für die Konzessionäre an Bord und natürlich die Offiziersmesse für die Offiziere.
Sicherheit und andere Pannen – Kuchen am Freitag
Jeden Freitag Nachmittag gab es Kuchen. Ich hatte mir hier immer, wenn ich nicht auf einem Ausflug war, einen meiner Kollegen geschnappt und dann richtig schön entspannt eine Kaffeepause gemacht. So wie auch zu Hause mit der besten Freundin. Wir mussten allerdings immer pünktlich da sein, ansonsten waren die Bleche auch schnell leer. Manchmal am Abend, wenn ich noch Hunger hatte und schon alles abgeräumt war, gab es zumindest immer noch Obst und Brot mit abgepackten Käse. Verhungern musste keiner.
Nach drei Monaten kannten wir den Speiseplan auswendig und es fing an, etwas fad zu werden. Es war schon was anderes, ob wir zu Hause in den Supermarkt gehen und uns selber etwas aussuchen und kochen können oder nach einem Speiseplan alle drei Wochen das gleiche Essen bekamen. Ich für meinen Teil habe nach jedem Einsatz erst einmal eine Woche lang frisches Brot von einem guten Bäcker mit Frischkäse und Kartoffeln mit Kräuterquark gegessen. Der Luxus wirklich genau das zu essen, wann und was Frau möchte, wurde einem spätestens nach nur einem gefahrenen Vertrag bewusst. Aber das nur so am Rande.
Sicherheit und andere Pannen – Runter zur Mülleinweisung
Neben den Sicherheitsübungen hatten wir noch andere Unterweisungen. Als nächstes stand nämlich ein Besuch auf Deck 2 und Deck 1 auf der Tagesordnung. Wir stiegen gut gestärkt nach dem Mittagessen runter in den Bauch des Schiffes. Hier unten bekamen wir am Nachmittag eine Unterweisung von unserer “Müllmaus“, wie sie auch liebevoll genannt wurde. Da an Bord eines Schiffes – genauso wie an Land – auch jede Menge Müll anfällt, gab es auch hier ein ausgeklüngeltes System. Ich weiß, viele Menschen meinen gerade in der heutigen Zeit, dass der ganze Müll auf und in den Meeren von Schiffen stammt.
Dem ist aber nicht so. Hier auf dem Schiff wurde noch strikter getrennt als an Land. An Bord selbst gab es eine riesige Müllerverbrennungsanlage. Der Abstieg dort unten hin war unangenehm. Es war heiß und stank! Ich empfand tiefen Respekt für die Mitarbeiter, die hier alles auseinander nahmen und sortierten. Wie an Land, ist es auch auf dem Schiff gewesen: Viele ignorierten das Trennen. Daher musste alles noch einmal kontrolliert werden.
Neben der Verbrennungsanlage gab es noch große Container für anderen Müll, der nur an Land entsorgt werden konnte. Unser Envoiremental Officer erklärte, dasss nicht jedes Land unseren Müll nimmt. Er muss vorher bei dem jeweiligen Hafen angemeldet werden und die Agentur stimmt dann zu oder lehnt ab. Ansonsten muss das Schiff mit dem Müll weiterfahren. Essensreste, die beim Buffet oben bei den Gästen übrig blieben ( und das reicht aus, um ein Dorf zu ernähren), können unter bestimmten Voraussetzungen geschreddert und ins Meerwasser abgelassen werden. Nebenan erklärte er uns, sei eine Wasseraufbereitunganlage. Wir bunkerten in jedem Hafen Frischwasser, aber viel Wasser wird auch wieder durch die Anlage aufbereitet und wiederverwendet. Irre. Ich war tief beeindruckt von so viel Logistik und Ordnung, wie der gesamte Müll der Kleinstadt hier unten sortiert und entsorgt und die riesen Wassermengen aufbereitet wurden.
Sicherheit und andere Pannen – Kopfkino auf der Kabine
Nach einer Stunde hatten wir es geschafft und abschließend mit einem Test unser “Save the wave“-Zertifikat erhalten. Kurze Mittagspause, ich ging auf meine Kabine. Erschlagen von all diesen Informationen und Gerüchen legte ich mich erst einmal in mein Bett.
Leichte Panik stieg in mir auf: Wie sollte ich das alles schaffen? Sicherheitsübungen, Mülltrennung, die generelle Orientierung auf dem Schiff,meine “eigentliche“ Arbeit. Ich bekam etwas Heimweh und fühlte mich überfordert. Ich begriff, dass dieses „Durchgetaktet-Sein“ von morgens bis abends nun das war, was ich mir für die nächsten Monate ausgesucht hatte. Die ersten Tage war ich so happy, aber nun überkam mich die Angst, dass es alles zu viel für mich werden würde.
Diese Up´s and Down´s hatte ich bei jedem Vertrag gespürt. Die Anpassung an das andere Leben dauert gut vier bis sechs Wochen, dann weiß Seefrau alles und kann routiniert jeden Tag angehen. Aber die ersten Tage sind mit Schulungen, Übungen und Informationsveranstaltungen gefüllt. Ganz „nebenbei“ waren wir ja auch noch kompetenter Ansprechpartner für jeden Gast und waren jeden Tag, wirklich jeden Tag, bestens drauf. Das dies mental durchaus an die Nieren gehen kann, können Sie sich sicher vorstellen. Mit dieser Angst und dem schweren Kopf schlief ich ein….!
Sicherheit und andere Pannen – von Uniformen und Wäschedramen
…bis das Telefon klingelte. Erschrocken schnellte mein Kopf nach oben und ich nahm den Hörer von der Wand: Meine Kollegin wartete auf mich beim Tailor. Wir hatten uns verabredet, meine Uniform abzuholen. Halb verschlafen krabbelte ich aus meiner Kabine und wusste mal wieder nicht ob ich rechts oder links herum gehen sollte. Ich hatte vergessen zu fragen. Also, wieder den gleichen Weg zur Crewmesse und von dort aus ließ ich mir den Weg zum Tailor erklären. Dort angekommen, stand meine Kollegin schon leicht genervt in der Tür. Ich entschuldigte mich. „Kein Problem“, sagte sie, „am Anfang kommen wir alle nicht hinterher mit dem Rhythmus, aber das wird schon.“ Ich sagte dem Tailor meine Größe, nichts paßte.
Entweder zu klein oder zu gross, zu lang oder zu kurz. Die Uniform war immer ein heisses Thema. Es gab nur eine bestimmte Anzahl von allem und wenn es nichts passendes gab, dann wurde es eben passend gemacht. Was dazu führte, dass manche Crewmitglieder eigenartig aussahen in der Unifrom. Hochwasser- Uniform-Hosen hatten wirklich viele! Beim Schneider konnten wir auch immer die Uniform zum waschen abgeben. Selber waschen war nicht gestattet. Seine eigenen Sachen, so erklärte mir meine Kollegin, kannst du aber selbst waschen. Und hier begann das nächste Drama. Es gab nie, und damit meine ich nie, genügend Waschmaschinen für die Crew. Und wenn genügend an Bord waren, war mindestens eine kaputt.
Ich habe manchmal Stunden mit Warten zugebracht, bis eine Maschine frei wurde. Und wenn du Pech hast und kommst nur eine Sekunde zu spät, dann durftest du wieder warten bis der Gang durch war. Das nächste Drama: Die eigene Wäsche verschwand schon einmal! Jemand hatte sie aus der Maschine genommen und einfach mitgenommen oder wer weiß wohin gelegt. Da es ja auch keine Wäscheleinen an Bord gab, war der Kampf um die Trockner das nächste Drama. Ich hab teilweise meine leichten Sachen auf der Kabine gewaschen und im kleinen Badezimmer aufgehängt. Im Nachhinein betrachtet ist es schon faszinierend, wie schnell ein Mensch sich an eine neue Lebenssituation mit völlig anderen Umständen anpassen kann. Allein auf sich gestellt, in einem Team aufgenommen, versuchte ich mich selbst und den neuen Rhythmus zu finden.
7 Tage die Woche! 24 Stunden! Jeden Tag von morgens bis abends verplant! Keine Privatsphäre! Irgendwie hatte ich es mir romantischer und spaßiger vorgestellt. Fortsetzung folgt.
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