Eingang Deck 3 – Das Schiff ist weiblich – die Kolumne! Folge 1
Eingang Deck 3

Eingang Deck 3 ! April 2000, Genua Italien. „Bist du wahnsinnig“, war das Erste, was mir durch den Kopf schoss, als ich vor diesem Block aus Metall stand. Das ist es also, dachte ich so bei mir. Wochenlang hatte ich mich auf meinen allerersten Einsatz an Bord gefreut und nun beschlich mich schlichtweg Angst. Angst, auf diesem Schiff unterzugehen, es nicht zu schaffen und dennoch kribbelte es in meinem Bauch. Vorfreude stieg auf und ich konnte es kaum erwarten, an Bord zu kommen.
Eingang Deck 3 – was davor geschah
Sommer 1999, Zypern
Ich war damals als Reiseleiterin für Neckermann unterwegs. Zusammen mit einem Schweizer hatte ich ein Appartment auf Zypern bewohnt. Sein Name war Rick. Er schwärmte immer davon, dass er im Sommer hier auf der Insel arbeitet und die Wintermonate als Patisserie auf amerikanischen Kreuzfahrtschiffen verbrachte. Und er hörte einfach nicht auf, davon zu schwärmen. Der Sommer verging, der Winter kam und ich fand mich wieder in meiner nächsten Destination — Marokko. Und der Traum, den Rick mir eingepflanzt hatte, breitete sich aus. Mein Residentmanager sagte damals zu mir: „Wenn du mir nicht mit einem marokkanischen Lover kommst, bringe ich dich auf ein Schiff!“ Mein erstes Schiff hieß “MS Palmira“. Das war im Sommer 2000 und die Geschichte mit der Seefahrt und mir nahm ihren Lauf. Aber, zurück zum Schiff.
Eingang Deck 3 – der Aufstieg
Ich nahm nun all meinen Mut zusammen und ging zur Gangway. Ich sah, wie dort ein Gabelstapler Ware vom LKW in den Schiffsbauch lud und fragte einen der Mitarbeiter, wo denn hier der Eingang für die Crew sei. „Deck 3, Steuerbord“, sagte er zu mir. Ich nahm also mein Herz in die Hand und meinen Koffer in die andere und lief zur rechten Seite, ein paar Stufen über die Gangway und schon hatte es mich – das Schiffsvirus. Auf ein Schiff aufzusteigen hat immer wieder eine neue Magie, es ist wie eintauchen in eine andere Welt, in ein anderes Leben. Andere Gerüche, viele fremde Menschen aber doch immer das Gefühl, zu Hause zu sein.
Ich ging in das Büro der Personalabteilung zum Check-in. Pass und Kreditkarte wurden abgegeben, Crewkarte mit einer Sicherheitsnummer (was im Notfall zu tun ist) und meinem Zimmerschlüssel sowie der dazu gehörigen Door Karte wechselten die Besitzer. Die Seetauglichkeitsuntersuchung erfolgte, Adressen für den Notfall wurden abgefragt, die Crew Sprechstunde wurde erklärt.
Meine Vorgesetzte holte mich eine halbe Stunde später ab und schon ging es durch das Wirrwarr der Gänge runter in meine Kabine auf Deck 2. Erst einmal die Koffer abstellen. Ich war damals als Mitarbeiterin in einer Doppelkabine untergebracht (später, als Shore Excursion Managerin und Personalleiterin in einer Einzelkabine). Wieder hoch auf Deck 3 und ab zum Schneider, die Uniform abholen, in der Crewmesse einmal kurz Luft holen und ein Glas Wasser trinken. Zurück in meiner Kabine auf Deck 2, verabschiedete sich meine Vorgesetzte. 30 min hatte ich nun Zeit auszupacken. Ich schaute mich erst einmal in Ruhe um.
Meine Mitbewoherin, die ich bis dato noch nicht kannte, schien für sich den unteren Platz belegt zu haben. Auf den Doppelkabinen sind immer Männer und Frauen getrennt und teilweise auch nach Abteilungen aufgeteilt. Ich hatte damals eine Kollegin aus dem Bar Department mit auf der Kabine. Sie schlief tagsüber, wenn ich auf Ausflügen war. Wenn ich am Abend Feierabend hatte, ging sie arbeiten und somit sind wir uns nie wirklich gross in die Quere gekommen. Das war äußert praktisch, da wir wirklich zwei völlig verschiedene Wesen waren. Einen Umzug in eine andere Crewkabine wäre zwar möglich gewesen, aber wer möchte das gern. War der Vorhang zum Bett zu, wollte sie entweder schlafen oder nicht gestört werden.
Dies ist übrigens die einzige Möglichkeit an Bord, tatsächlich eine gefühle „Privatsphäre“ an Bord zu haben. Bei allem anderen ist man immer unter Beobachtung- gewollt oder ungewollt. Einmal unter der Beobachtung der anderen Crewmitglieder oder, wie wir auch immer zu sagen pflegen, “geht die Tür zum Passagierbereich auf, stehst Du auf der Bühne, Spot on“. Wir als Besatzung sind das Aushängeschild des Unternehmens und sollten somit immer profesioneller Ansprechpartner für die Gäste sein – gut gelaunt, versteht sich. Auch wenn sich die Fragen permanent wiederholen und Frau innerlich schon mit den Augen rollt. Das war auch der Grund für mich, aus dem aktiven Gästekontakt in die Personalarbeit zu wechseln. Ich konnte einfach nicht mehr immer die gleichen Fragen beantworten und dabei von Herzen freundlich sein. Ich war nach einigen Jahren tatsächlich „durch“ mit diesem Thema.
Ein kleiner Spind, ein Schreibtisch (für 2 Personen), 2 abschließbare Schubladen sowie eine kleine Nasszelle (hier konnte man auf der Toilette sitzend, gleichzeitig sich die Zähne putzen, den Toilettengang verrichten und anschliessend duschen; also extrem Platz sparend), sollten also für die nächsten 6 Monate mein zu Hause darstellen. Kein Tageslicht inklusive. Ufff…!
Eingang Deck 3 – der Einzug
Ich fing also langsam an, den Koffer auszupacken. Eine halbe Stunde hatte ich dafür Zeit. Na dann, los geht es. Wie immer hatte ich viel zu viel mitgenommen – etwas, dass ich in meiner Seefahrerzeit perfektionierte. Ich flog nur noch mit 10 kg los und stieg mit 20 wieder ab! Da die Zeit an Bord immer gut durchgetaktet war (aufstehen, anziehen, Frühstück essen, arbeiten, Sicherheitsübung, Umweltschulung, Generalalarm, arbeiten, Mittagessen, arbeiten, Abendessen, arbeiten, schlafen), kam man die erste Zeit nicht wirklich zum nachdenken. Man funktionierte und versuchte in den neuen Rhythmus einzutauchen und sich anzupassen an das neue Leben in dieser neuen Welt.
Die Emotionen flogen nur so von absolut happy nach einem fantatischen Arbeitstag (freie Tage gab es ja keine) oder dem „ich steige sofort ab und komme nie wieder“-Gefühl und schwankt die erste Zeit extrem hin und her. Es war alles, aber wirklich alles anders. Keinen Abend auf der Couch ausruhen, kein Wochenende, um mal alles sacken zu lassen. Keine beste Freundin, die einem beisteht und mal mit einer Flasche Wein und einem guten Gespräch um die Ecke kommt. Dennoch habe ich, zurückblickend betrachtet, hier die intensivsten Erfahrungen und Entwicklungen in meiner privaten wie auch beruflichen Entwicklung gemacht.
Ich verließ wieder meine Kabine und betrat den Gang. Ich ging, wie im nächsten Monat so oft, in die falsche Richtung.Verlaufen war am Anfang völlig normal. Die Crewgänge sahen alle gleich aus, genauso die Treppenaufgänge. Nicht selten habe ich mich in meiner Anfangszeit verirrt und bin zu spät zum Dienst gekommen. Hier half einfach nur ein anderes Crewmitglied fragen, es war einfach effizienter.
Eingang Deck 3 – es geht in die „Passenger Area“
Und so stand ich wieder auf Deck 3. Um mich herum ein Gewusel an Menschen aus aller Herren Länder, in Uniform oder privat gekleidet rannten wie ferngesteuert durch den breiten Gang, auch “Highway“ genannt. Hier befanden sich die Crew- und Offiziersmesse, das Büro der Personalabteilung und hier ging es auch zu den Irrgärten der verschiedenen Kabinen, der Crewbar und dem Sportraum auf Deck 2. Dieser Bereich war das Herzstück der Crew und auch nur für diese zugelassen. Überall sah ich in Gesichter, die mich anlächelten und „hello“ riefen.
Ich bin für mehrere Reedereien tätig gewesen. Dieses offene Verhalten war mir wirklich auf allen Schiffen begegnet. Es war sicher eine Firmenphilosophie, auf der anderen Seite gab es aber jedem neu aufgestiegenem Crewmitglied gleich ein gutes Gefühl. Dieser Automatismus, immer und alle zu grüßen, habe ich auch mit nach Hause genommen. Ich fand es immer lustig, wenn ich mit der gleichen Freundlichkeit zu Hause im Fahrtstuhl, auf der Straße oder im Supermarkt freundlich und ausgeglichen wirklich jeden gegrüßt habe – die Gesichter und den Spaß, den ich dabei hatte, war einfach unbezahlbar.
Ich fand nun endlich die Tür “Passenger Area“, machte sie auf und ging die Treppe hoch. Zugleich fing mich ein Gast ab und schaute fragend in mein Gesicht: „Toilette?“. Oh nein, was sollte ich bloß antworten? Ich wusste gerade selber nur meinen Vor- und Nachnamen und das ich auf einem schwimmenden Metallblock namens “Palmira“ stand. Aber, wo sich hier die nächsten Toiletten befanden? Hilfesuchend blickte ich mich um und entdeckte das Schild zur Rezeption. Glück gehabt. Ich deutete dem Mann also mir zu folgen und so gingen wir zusammen zur Rezeption. Gleich nebenan befand sich auch die Toilette und somit war das Thema gelöst. Ich nutzte die Gelegenheit, mich vorzustellen und nahm einen Decksplan mit. Mit Uniform einem Gast zu sagen “weiß ich nicht, bin neu hier“ – diese Blöße wollte ich mir nicht geben.
Auf den Plan schauend fand ich nun auch die Schalter, an denen die Ausflüge gebucht werden. Hier wollte ich mich mit meiner Vorgesetzten treffen, um das Team kennen zu lernen. Ich lief der Beschilderung nach und ging aber erst einmal auf das Sonnendeck. Ist das schön hier, dachte ich bei mir. Ich schaute aus einem der großen Panoramafenster und sah die Sonne, ein andres Schiff und die Weite des Meeres. In meinem Herzen wurde es warm. Ich konnte dieses Gefühl nicht beschreiben, aber die Weite des Meeres zu sehen, ließ mich einen inneren Frieden fühlen, den ich sonst nie wieder gefunden habe in meinem Leben.
Maria, meine Vorgesetzte, nahm mich mit ins Back Office. Auch hier war alles klein und eng, aber zumindest mit Tageslicht. Meine anderen 6 Kollegen, auch Reisebegleiter, wurden mir vorgestellt. Ich bekam einen Buddy an die Seite gestellt. Sie hieß Sabrina. Und sie würde in den nächsten zwei Wochen mein Schatten sein und mir helfen, mich zurecht zu finden. Sowohl räumlich, als auch zeitlich und zwischenmenschlich.
Sie war in der ersten Zeit mehr als mein Buddy. Sie erklärte mir auch die Themen, die nicht niedergeschrieben standen. Wo ich zum Beispiel mehr Handtücher bekomme, wo ich meine Post abholen kann, warum die Philippinen immer so viel Reis essen, das Pumps einfach unpraktisch sind, weil das Schiff manchmal ganz schön Seegang hat. An welchem Hafen es ein Terminal mit Wlan-Empfang gibt, welcher Hafen die beste Möglichkeit zum einkaufen und die beste Pizza hat. Das das Bordhospital auch für die Crew am Vormittag Sprechstunde hat – einfach die kleinen, dennoch wichtigen Themen.
Eingang Deck 3 – ein neuer Lebensabschnitt beginnt
Und so ging sie los für mich, meine Reise in einen neuen Lebensabschnitt. Ich wusste damals noch nicht, was wasserdichte Türen sind, wo ich meine Batterien entsorgen kann, warum ich an Bord keinen Wasserkocher nutzen darf, wo sich die Crewmitgieder die Haare schneiden lassen und und und… ! Es gab so viel zu lernen, Gewohnheiten loszulassen, Themen zu reflektieren und zu hinterfragen. Und sich zu wundern und zu stauen, über die Vielfältigkeit an Menschen und Möglichkeiten zwischen Deck 2 und Deck 3.
Heute bin ich stolz auf mich, stolz, dass ich das damals geschafft habe. Es begegnete mir immer wieder in meinem Leben folgende Aussage: “Ich finde das so toll was du machst, ich träume auch davon“. Warum davon träumen? Gerade in der heutigen Zeit, wo so viele neue Schiffe gebaut werden, kann sich jede Frau diesen Traum erfüllen. Ob Floristin oder Rezeptionistin. Kapitänin oder General Managerin! Querdenkerin, Mutti oder oder fast Großmama! Nein-Sagerin oder Freak! Die Luke an Bord eines Schiffes steht für jeden offen.
Und wie es mir in der ersten Woche an Bord erging, erzähle ich Euch in meiner nächsten Kolume mit dem Titel: “Sicherheit und andere Pannen“.
Ahoi, Eure „Seefrau“ Sandra
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