Achterbahn der Gefühle – Das Schiff ist weiblich – die Kolumne! Folge 3

Achterbahn der Gefühle

Foto: Sandra erlebte eine Achterbahn der Gefühle

 

Ich saß auf meiner Bettkante und weinte. Eine Achterbahn der Gefühle. So hatte ich mir das ganze nicht vorgestellt. Seit gut zwei Wochen war ich nun auf dem Schiff und hatte wirklich alles gegeben. Aber irgendwie fühlte sich der Traum traurig an. Was war passiert?

Ich war an Bord gekommen, um Spaß zu haben. Ich wollte Land und Leute entdecken, meinen Horizont erweitern. Aber das dieses in solch einen Stress ausartet, hätte ich im Leben nicht gedacht. Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich mich fühlte, als ich vor dem Schiff stand:

Mein Puls schlug schnell, Vorfreude machte sich breit. Auch die Wochen davor, als ich all meinen Freunden und Bekannten mitteilte, das ich für 6 Monate auf ein Schiff gehe. Die Abschiedspartys, die gefeiert wurden und all die kleinen Glücksbringer, die nun meiner Kabine zierten. Ich konnte die Nacht vor meinem Abflug kaum schlafen, so sehr hatte ich mich darauf gefreut.

Ich vermisste mein zu Hause, meine Freunde, meinen Kater!

Aber keiner hatte mich auf den Stress vorbereitet, der danach kam. Ich musste Jeden Tag arbeiten, Sicherheitsübungen absolvieren und schreiende Gäste beruhigen. Nebenher noch bei anderen Veranstaltungen mithelfen. Ich hatte keine Zeit für Entspannung, vermisste mein zu Hause, meine Freunde, meinen Kater. Ich hatte nicht einmal Zeit, um in Ruhe eine Karte zu schreiben oder irgendwo anzurufen. Wenn es eine Verbindung gab ( weil wir gerade nicht auf See waren), dann hatte ich meist Gäste an der Seite. Puh.

Immer freundlich zu sein, ist auch leichter gesagt als getan. Ich verstand, dass die Gäste Urlaub gebucht und dafür sehr viel Geld dafür bezahlt hatten. Auch, dass ich gefühlt permanent im Rampenlicht stand. Aber, warum mussten sich manche Gäste über alles, aber auch wirklich alles aufregen? Wieso konnten sie sich im Urlaub nicht entspannen? Was konnte ich dafür, dass in den Bussen eine freie Sitzordnung herrschte? Oder, dass es keine Coca-Cola beim Mittagessen gab, die Klimaanlage zu kalt war und der Bus zu schnell fuhr? Das Beste: Warum sprachen nicht alle Menschen auf der Welt fließend deutsch und warum durften sie in der arabischen Welt nicht halb nackt bei 40 Grad im Schatten eine Moschee betreten? Ich verstand unsere deutschen Urlaubsgäste manchmal nicht. Bezahlen hieß doch nicht, dass jetzt alles so wie bei ihnen zu Hause war! Das machte mich am meisten traurig und wütend. Diese Dauernörgeler.

Wir als Shore Excursion Team waren immer der erste Ansprechpartner. Männer wie Frauen taten sich leichter, sich bei einem jungen Mädchen wie mir zu beschweren, als wie bei unserem männlichen und älteren Vorgesetzten. Da war dann alles nicht mehr so dramatisch. Das war die Realität.

Wo ist mein Platz hier auf dem Schiff?

Und so saß ich auf meiner Bettkante und wollte am liebsten alles hinschmeißen und nach Hause fliegen. So hatte ich mir den schönsten Job der Welt nicht vorgestellt. Da ich noch sehr neu in dem Team war, hatte ich an Bord auch noch gar keine Freude. Das eine Mädchen, mit dem ich zusammen gekommen war, hatte ich bisher nur noch zwei mal gesehen. Sie arbeitete im Restaurant-Team und hatte andere Arbeitszeiten als ich. Wir sahen uns höchstens auf dem Gang oder begegneten uns in der Crew Messe .Bei uns im Team war gerade viel Bewegung. Einige hatten ihre Fahrenzeit um und flogen nach Hause. Irgendwie fand ich noch nicht so richtig meinen Platz hier auf dem Schiff.

Zu Hause war das einfacher: Die Freundin anrufen und auf einen Kaffee treffen. Jetzt war ich allein auf dem großen Schiff. Mit vielen anderen Menschen, die mir alle fremd ware,n aus anderen Ländern. Manchmal verstanden sie nicht einmal mein Englisch. Zugegeben, mein Schulenglisch war zwar nicht das Beste, aber es reichte, um alle Sicherheitseinweisungen zu verstehen und auszuführen. Wenn es aber um mehr ging, kam ich schon an meine Grenzen. Das alles machte es auch nicht gerade einfacher. Als nicht so mega extrovertierter Mensch, war es für mich generell nicht einfach, auf Menschen zuzugehen. Also nahm ich meine Traurigkeit erst einmal mit ins Bett. Irgendwie würde Morgen ein anderer Tag sein und alles schon werden. Gute Nacht.

Ein neuer Tag

Bibip….bibip…bibip… es war sechs Uhr morgens und meine Wecker klingelte. Oh nein, dachte ich, ich war doch gerade erste eingeschlafen. Ich pellte mich aus dem Bett, leise. Meine Kollegin aus dem Bar Departement war erst vor einigen Stunden nach Hause gekommen. Ich ging vorsichtig in unsere Nasszelle. Mehr konnte man übrigens dazu auch nicht sagen: Der halbe Quadratmeter lud gerade mal dazu ein, auf der Toilette sitzend zu duschen und die Zähne zu putzen.

Wenn doch der nervige Duschvorhang nicht immer so an der Haut kleben würde. Ich machte mich also in aller Ruhe fertig. An die leichten Schiffsbewegungen hatte ich mich im Laufe der Zeit bereits gewöhnt und fand es sogar angenehm beruhigend! Ich wusch meine Gesicht und putzte meine Zähne. Da wir jeden Tag Uniform trugen,  war das Thema “was ziehe ich heute an?“ schnell erledigt. Das hatte ich übrigens all die Jahre sehr genossen. Ein bißchen Mascara, Lipgloss und ab ging die Party.

Ich nahm meinen Rucksack und schlich mich vorsichtig aus der Kabine. Vor der Kabinentür war schon ein richtiges Gewusel. Dadurch, dass alle unterschiedliche Arbeitszeiten hatten und wir meistens jeden Tag irgendwo anlegten,  war eigentlich immer irgendwo jemand zu sehen und schon am arbeiten. Okay, hier links, dann die Treppe hoch, den Gang runter und dann wieder rechts. Gestern sah das aber irgendwie noch anders aus. Aha, jetzt wusste ich, woran es lag. Wir waren noch nicht im Hafen, also sind die wasserdichten Türen noch geschlossen. Also, alles wieder zurück.

„Vom Bus-Briefing“

Fünf Minuten später hatte auch ich es dann in die Crewmesse zum Frühstück geschafft. Auch hier schon wieder ein Gedränge an Menschen. Ich nahm mir einen Kaffee und ein Croissant und packte mir für später eine Banane in die Tasche. Unser heutigen Hafen war Civitavecchia in Italien und ich hatte zum ersten mal heute den Ausflug “Rom auf eigene Faust“.

Das würde sicher toll werden. Ich ging ins Büro und traf meine Vorgesetzte, Alexandra. Sie gab mir die Namensliste der Gäste, die mit auf den Ausflug kommen würden. Sie briefte mich noch einmal, den Gästen klar und deutlich zu sagen, wann sie wieder am Bus nach ihrem Aufenthalt in Rom sein sollten. Es war schon öfter passiert, dass Gäste nicht pünktlich vor Ort waren. Dann fährt der Bus ohne sie ab und wenn sie nicht pünktlich am Schiff sind, dann wahrscheinlich auch das. Das war wie mit dem Zug, wer zu spät kommt, der verpasst ihn. Warum man bei Kreuzfahrten eine Ausnahme machen sollte, wie manche Gäste sich das vorstellen, hat sich mir nie ganz erschlossen.

Auf nach Rom

Noch ein wenig zerknittert betrat ich den Gästebereich und ließ meine Mimik noch im Originalzustand verharren. „Moin Moin“, hörte ich hinter mir eine Stimme. “Guten Morgen Herr Klaus, wie geht es Ihnen, haben Sie gut geschlafen?“ Ich freute mich sehr, ihn zu sehen. Es war gestern mit mir zusammen auf dem Ausflug gewesen und wirklich ein toller Mensch. Er hat schon so viele Kreuzfahrten gemacht, dass würde ich wohl im Leben nicht mehr schaffen.

Ich fragte ihn, welchen Ausflug er heute machen würde. “Rom auf eigene Faust, alles andere ist mir zu hektisch. Außerdem kenne ich Rom wie meine Westentasche. Ich habe hier meine Frau kennengelernt und wir haben hier zusammen mehr als 13 Jahre glücklich gelebt“, gab er zur Antwort. Ich freute mich und nahm ihn gleich mit zum Treffpunkt.

Im Theater angekommen, machte ich einen kurzen Mikrofon Check. Die ersten Gäste kamen und meldeten sich an. Insgesamt 6 Busse mit 300 Menschen waren heute in meiner Verantwortung. Reiseleiter gab es auf den Transferbussen nicht. Nach gut einer halben Stunde gab ich meinem Kollegen an der Pier Bescheid, dass alle Gäste vollzählig da waren. Ich machte eine kurze Ansage und wir gingen im  Anschluss geschlossen runter zum Bus. Wir fertigten zusammen die ersten 5 Busse ab. Ich nahm im letzten Bus Platz, Herr Klaus saß schlafend hinter mir. Ich konzentrierte mich auf die Straße.

Achterbahn in Rom!

Heute wird mein Tag, dachte ich bei mir. Mein erster freier Tag, ab dem ich einmal meinen eigenen Gedanken folgen könnte. Ausatmen, ein herrliches Gefühl. Meine Gedanken flogen nach Hause und ich schickte eine SMS an meine beste Freundin. Sie antwortete prompt: “Du hast es aber gut“. Wenn sie wüsste, gestern hatte ich mich so allein gefühlt und hätte mich gern zu ihr auf die Couch gewünscht. Ja, dachte ich, recht hat sie. Ich hatte es wirklich gut. Jeden Tag in einem andern Land/Stadt zu sein, war schon etwas tolles.

Wenn da nicht manchmal das Gefühl der Überforderung und des Alleinseins wäre. In Rom am Zentralbahnhof angkommen, machte ich noch einmal eine Ansage, wann und wo wir uns wieder treffen würden. Als alle Gäste weg waren, sah ich Herrn Klaus noch neben mir stehen. “Na, junges Fräulein, darf ich ihnen mein Rom vorstellen?“ Wir nahmen uns gemeinsam ein Taxi. Herr Klaus sprach fließend Italienisch. Ich war beeindruckt. Wir unternahmen eine kleine Stadtrundfahrt und er ließ mich in sein anderes Leben eintauchen.

Wir fuhren vorbei an alten, leicht herunter gekommenen Häusern. Dennoch, die Stadt hatte Flair. Ich liebte die kleinen Höfe, in denen die Wäscheleinen einmal quer über die Strasse hingen. Die alten Omas und Opas, die draussen auf der Straße saßen und sich unterhielten. Die Kinder, die Fussball spielten, die Jugendlichen, die auf den Motorrädern rumlungerten. Viva la vida! Voller Lebensfreude und einer Lebensgeschichte reicher, fuhren wir am Abend wieder zurück zum Schiff und legten pünktlich ab.

Zurück an Bord, wieder Achterbahn

Am  Abend nahm ich mir die Zeit und rief meine Freundin an. Ich erzählte ihr von der Fahrt nach Rom, der Lebensgeschichte von Herrn Klaus, der leckeren Pizzeria und der wunderschönen Stadt mit dem einzigartigen Flair. Und sie sagte: “Wie gern möchte ich mit dir tauschen. Schön, was du alles erleben kannst. Ich bin so stolz auf dich“. Und so saß ich wieder auf meiner Bettkante und lächelte. Genauso hatte ich mir das Leben und Arbeiten auf dem Schiff vorgestellt. Und wenn mich mal wieder die Traurigkeit überkam, dann tauchte ich ein in diesen schönen Tag. Und war dankbar, dass ich all das erleben durfte.

Viva la vida.

Eure Seefrau Sandra

Das Foto wurde mit von Sandra für den Blogbeitrag zur Verfügung gestellt.

Zu Sandras Homepage geht es hier.

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