24 Stunden – Das Schiff ist weiblich – die Kolumne! Folge 7
24 Stunden – Ein Tag mit einer Personalleiterin auf See

24 Stunden – die Nacht
2:30 a.m.
24 Stunden: Das Telefon klingelt. Aus dem Tiefschlaf gerissen und sofort hellwach, erkenne ich gerade so, was auf dem Display geschrieben steht: „Security“. Das heißt nichts Gutes, denke ich mir …! Exakt sieben Minuten später befinde ich mich auf der Krankenstation. Ein Mitarbeiter des Schiffs steht unter Verdacht, den Alkohollimit überschritten zu haben, da er schlafend im Korridor des Crew-Bereichs gefunden wurde. Schiffsarzt und Security bereiten alles Notwendige zur Überprüfung vor und ich als HR-Manager bezeuge den Vorgang.
In diesem Fall hatte der Mitarbeiter tatsächlich weit mehr Alkohol im Blut, als erlaubt. In der Konsequenz muss er schnellstmöglich von Bord. Ich schreibe rasch eine E-Mail an den Crew Purser, ein Mitarbeiter im HR-Team, der bei Arbeitsbeginn den Austritt vorbereiten wird, inkl. Flugbuchung nach Hause. Am frühen Morgen wird dazu ein Meeting mit dem obersten Management stattfinden. Mittlerweile ist es 3:45 Uhr. Ich lege mich nochmals hin, um noch etwas zu schlafen. 24 Stunden sind schon anstrengend.
24 Stunden – der Vormittag
6:00 a.m.
Schnell geduscht und für den Tag zurechtgemacht, streiche ich meine Uniform glatt. Alles muss sauber und ordentlich sein. Mein roter Lippenstift darf natürlich auch nicht fehlen. Ja, eine Uniform, ich habe 3,5 Streifen. Die machen ganz schön was her. Es erschreckt mich immer wieder, wie die Wahrnehmung der Menschen sich ändert. Mitarbeiter wie auch Gäste schauen einen oft gleichermaßen beeindruckt an. Gut, wenn man sich dessen bewusst ist. Es gibt leider viele Menschen, die nur über diesen Status funktionieren und sich diesen negativ zunutze machen. Aber das wäre ein ganz eigenes Thema für ein Buch wie „Die Macht der Streifen“.
6:30 a.m.
Ich gehe langsam durch den langen, noch leeren grüngestrichenen Korridor in mein Büro auf Deck 3. Deck 3 wird auch liebevoll unter uns „der Highway“ genannt. Deck 2 und Deck 3 sind die Crewbereiche, und auf Deck 3 befinden sich ebenfalls die ganzen „Messen“: Die Crew- Staff und Offiziersmesse. Und ein langer Gang. Einmal längs durchs Schiff. Am Ein- und Ausschiffungstag fahren hier teilweise auch Gabelstapler voller Bedarfs- und Lebensmitte hoch und runter. Wie auf einem Highway eben.
Mein Büro ist ist klein, aber organisiert und ohne Fenster. Manchmal vergisst man, ob es Tag oder Nacht ist, denn das Licht ist immer gleich. Besonders gefällt mir, dass ich bei offener Tür immer mitbekomme, wer am Büro vorbeikommt, Mitarbeiter aus allen Bereichen, manchmal viele, manchmal niemand. Ein einfaches Hallo, oft mit einem Lächeln oder einem Winken, freut mich sehr. Ich checke die E-Mails, schaue auf den Reiseplan und frage mich, wo wir heute anlegen werden. Nach zwei Monaten an Bord und im Mittelmeer unterwegs, kann es schon einmal vorkommen, dass ich nicht mehr weiß, wo sich das Schiff befindet. Heute machen wir Halt in Catania, Sizilien.
Ich warte, bis der Crew Purser auf dem Weg in sein Büro an meinem vorbeikommt. Wir besprechen den nächtlichen Vorfall kurz und gehen gemeinsam in die Offiziersmesse frühstücken. Anschließend kehre ich zurück ins Büro und sende wichtige Informationen an die Landseite. Dort werden unter anderem die Abläufe und Strukturen entwickelt, die an Bord umzusetzen und in die täglichen Ablaufe zu im-plementieren sind.
8:30 a.m.
Das Captain’s Meeting mit Kapitän, Chief Engineer, General Manager, Departmentchef und HR-Manager findet statt. Es geht um den Fall des alkoholisierten Mitarbeiters. Dieser wird kurz dazugebeten, um ihm die Entscheidung des Gremiums mitzuteilen: Er wird heute um 13:00 Uhr von Bord gehen und nach Hause fliegen. Solche Momente sind für mich immer eine der härtsten. Sicher, das Crewmitglied hat einen Fehler gemacht. Und in der Bordordnung sind alle Verstöße aufgeführt und somit sind sie jedem klar. Dennoch, gerade junge Männer unterschätzen dieses Thema oft und somit ist die Karriere von einem Tag auf den anderen beendet. Auch, wenn der Mitarbeiter sonst sehr gute Arbeit geleistet hat. Raus ist raus: Sicherheit ist eine der elementarsten Grundsätze an Bord und die Alkohol Policy ist klar.
08:45 a.m.
Ich gehe beim Crew Purser Office vorbei und wir klären die Notwendigkeiten des Tages. Zwei Mitarbeiter müssen zu einem Zahnarzt und ein Dritter musste soeben mit Verdacht auf Blinddarm direkt ins Krankenhaus gebracht werden, alles organisiert vom Büro des Crew Pursers, der direkt dem HR-Manager untergeordnet ist. Danach eile ich zum sogenannten GM-Meeting mit dem General Manager und allen Departementchefs. Der gestrige und heutige Tag werden besprochen. Vier Gäste warten noch immer auf ihre Koffer, sie werden wohl am nächsten Hafen nachgeliefert.
10:00 a.m.
Ich halte im Theater die HR-Präsentation für die neuen Mitarbeiter. Es geht darum, ihnen einen Einblick in das Leben an Bord sowie ausführliche Informationen zum Management des Unternehmens selbst zu geben. Viele bekannte Gesichter strahlen mir entegegen, aber auch viele neue aufgeregte, große Augen schauen mich neugierig an. Für mich ist diese Präsentation eine mit der wichtigsten an Bord. Schaffe ich es hier, dass Vertrauen von erstem Tag an zu bekommen, haben wir zukünftig weniger Probleme. Nicht immer finden die Mitarbeiter den Weg zum Vorgsetzten, um mit ihr/ihm über Themen, die berühren, zu sprechen. Und da ist es gut, hier schon einmal als Personalverantwortliche offen und menschlich zu präsentieren. Der erste Eindruck zählt.
Die Vorführung findet in einem kleinen Saal gegenüber dem Büro des Reisemanagers im öffentlichen Bereich statt. Das Innere des Saales ist wie in einem Kino angeordnet. Es stehen zwei Eimer am Boden und ein großer Ventilator. Viele Tücher liegen herum, es gab ein Leck eine Etage höher und Wasser rinnt von der Decke herab. Nun, nachmittags sollte der Schaden repariert sein. Trotzdem halte ich meine Präsentation. Wie gut, heute funktioniert auch die Technik, Sound und Beamer. Alles klappt, was nicht selbstverständlich ist. Viele Mitglieder der neuen Crew kommen von den Philippinen. Sie kommen an Bord, um acht Monate zu arbeiten. Meist wohnen sie in einer der Achter-Kabinen und das Schiff wird zu ihrem „Home away from home“. Wenn bei einer Safety Präsentation ein Mitarbeiter wegdöst, wird er vom Safetey Officer mit „Sleeping beauty, wake up“ daran erinnert, sich auf den Inhalt zu konzentrieren.
24 Stunden – der Mittag
12.00 p.m.
Geschafft. Ich gehe über das Schiff, wobei ich in die zufriedenen Gesichter der Gäste schaue, die mir auf den langen Korridoren entgegenkommen. Ich freue mich immer, die Mitarbeiter an den verschiedenen Arbeitsbereichen anzutreffen. Mein Weg führt mich durch das Café, vorbei an der Ausflugsabteilung und ich passiere das Atelier des Bordmalers und der Bordfotografen. Ich liebe es, über das Schiff zu laufen. Alles ist modern eingerichtet. Hotel pur. Durch eine Tür komme ich nach draußen, die Sonne scheint mir entgegen, es ist warm und hell. In der Ferne erkenne ich den Ätna.
Das Telefon klingelt. Es ist der Bar-Manager, es gibt ein Problem mit einem Mitarbeiter. Umgehend gehe ich zu meinem Büro, wo der Mitarbeiter bereits auf mich wartet. Er ist erst vor einigen Tagen aufgestiegen und berichtet mir, dass er schlafwandelt und nun Angst hat, nachts über Board zu gehen. Die notwendigen Schritte werden eingeleitet. Mit einem ärztlichen Attest wird er schnellstmöglich nach Hause fliegen. Anschließend bespreche ich mit meinem Assistenten die Vorbereitung der Crewparty in vier Tagen und noch einige andere Aufgaben, die erledigt werden müssen, wie beispielsweise Austritte, Zeugnisse, fehlende Passdokumente oder Meetings mit Mitarbeitern.
1:00 p.m.
Mittagspause. Nach dem Essen gehe ich in meine Kabine. Klein, aber mit allem, was man benötigt. Frisch gereinigt. Die gewaschene Kleidung liegt auf dem Bett. Wie in einem Hotel, was für ein Service. Ein kleines rundes Bullauge befindet sich über dem Bett, gleich über dem Meeresspiegel gelegen. Das Meer ist ruhig, ich sehe größere und kleinere Schiffe vorbeifahren. Ich denke an zu Hause, einen halben Sommer und einen halben Herbst war ich nicht mehr dort. Wie es wohl allen geht? Was es Neues gibt bei Familie und Freunden? Welche Farbe wohl die Blätter haben? Es gibt wenig Zeit für die Kommunikation mit der „Außenwelt“, oftmals auch aufgrund schlechter Verbindung. Es sind die Bäume und die Vögel, die ich vermisse, wenn ich so lange auf dem Schiff bin. Vorher habe ich das nie wirklich wahrgenommen, denn sie waren einfach existent.
24 Stunden – der Nachmittag
2:00 p.m.
Nach einer kurzen Siesta gehe ich wieder in mein Büro, mit einem Kaffee in der Hand. Ich bearbeite meine E-Mails; danach nehme ich mir das mit circa vierhundert Seiten stattliche HR-Handbuch vor, in dem einige Änderungen vorgenommen werden müssen. Das Audit des Qualitätsmanagements steht an. Sämtliche Unterlagen müssen gut sortiert, geordnet und gemäß Vorgaben und Standards bearbeitet sein. Eine Stunde später kommt Nicholas, ein Mitarbeiter vom Service, erneut zu einem Gespräch, er war bereits gestern bei mir. Später wird der Service-Manager dazukommen. Nicholas fühlt sich in seinem Team übergangen, er möchte in eine andere Position wechseln. Seine Muttersprache ist Französisch, eine Sprache, die ich gut kann. Das erleichtert die Kommunikation ungemein. Am Ende finden wir auch für ihn eine Lösung. Er wird die von ihm angestrebte Position in absehbarer Zeit einnehmen können, nachdem er sich bewiesen hat.
Anschließend korrigiere und unterschreibe ich die Korrespondenz des heutigen Tages, dann mache ich einen Rundgang auf dem Schiff mit einen Halt bei der Kaffeebar, wo ich den General Manager antreffe. Schön, ein kurzer Austausch über dies und das. Unbeschwert. Es ist still und leer in diesem großen und gemütlich wirkenden Restaurant. Die Sonne scheint mit ihrer vollen Kraft in die Räumlichkeiten. Ich denke an Gaby. Das letzte Mal in Catania war ich mit ihr, einer Guest-Relation-Managerin, „draußen“, also in der Stadt. Die Straßen waren klein und verschlungen, dunkel, Wäsche zum Trocknen darüber gespannt. Auf der Piazza aßen wir ein köstliches italienisches Dessert, eine Waffel, ummantelt mit Schokolade und gefüllt mit Schlagsahne, dazu Eiscreme. Es wurde nicht gespart an Kalorien. Viel zu selten führt mich der Weg nach draußen in die „Zivilisation“.
Von der Kaffeebar gehe ich zum Crew Deck, einige Etagen tiefer und am Bug des Schiffes. Dort habe ich einen Termin mit dem Besitzer einer Möbelfirma, da neue Möbel für dieses Deck bestellt werden müssen. Bestimmte Anforderungen müssen sie erfüllen: Leicht zu transportieren, widerstandsfähig und wetterbeständig müssen sie sein. Regelmäßig findet auf diesem Deck ein Crew-Barbecue statt. Immer ein Erfolg. Anschließend treffe ich den Trainer, der heute an Bord gekommen ist und die Schulungen durchführt. Wir gehen den Trainingsplan der kommenden Wochen durch.
24 Stunden – der Abend
5:30 p.m.
Ich gehe zum Abendessen. Danach laufe ich so schnell ich kann in meine Kabine, werfe mich in, nein, nicht in Schale, sondern in meine Sportkleidung und gehe zum Fitness. Der Führungsebene ist es erlaubt, den Gäste-Fitnessbereich zu nutzen. Wunderschön. Im fast obersten Stockwerk laufe ich auf dem Crosstrainer einen Kilometer nach dem anderen. Vor mir das weite Meer, der Horizont und der Sonnenuntergang. Diese Momente sind unbezahlbar. Diese Schönheit der Natur und die Weite, als stünde einem die Welt offen. Später gehe ich noch einmal im Büro vorbei, checke nochmals die E-Mails und schaue, was für Morgen auf dem Programm steht, wieder 24 Stunden.
9:00 p.m.
Auf dem Programm steht der Crew Drill und anschliessend die Kontrolle der Kasse mit dem Chief Purser.
10:00 p.m.
Ein Termin mit dem Staff-Kapitän wegen eines Mitarbeiters aus dem Maschinenbereich, der wiederholt seine Arbeit verweigert hat, steht an. Danach treffe ich mich auf dem Oberdeck mit unserem Trainer. Wir stehen draußen, im Wind, das Schiff hat vor einiger Zeit abgelegt, aber in meinem Büro habe ich die Schiffshymne nicht gehört, die bei jeder Abfahrt gespielt wird.
Ich laufe über das Schiff, auf dem Pooldeck gibt es heute Abend ein Buffet. Die Köche haben wunder-schöne Eisskulpturen gezaubert. In einer der Bars höre ich das Piano, woanders ist die Seiltänzerin bei ihrer Vorführung. Ich sehe zufriedene Mitarbeiter und zufriedene Gäste. Ich gehe in die Crew-Bar auf dem gleichen Korridor wie mein Büro und treffe Kollegen. Wir haben einen Drink und kulturellen Austausch. Ich erfahre etwas über die Personen und ihre Herkunftsländer, es wird gelacht, erzählt, was der heutige Tag mit sich brachte. Dazu die eine oder andere Anekdote, wer mit wem etc. Es hat mich immer sehr überrascht, wie freizügig es auf dem Schiff zugeht!
11:00 p.m.
Nach einem letzten Check der E-Mails gehe ich in meine Kabine. Nun bin ich müde. Es war ein guter und abwechslungsreicher Tag. Bevor mir die Augen zufallen, schaue ich durch das Bullauge auf das Meer. Der Mond scheint hell, sein Licht wird auf der Meeresoberfläche reflektiert. Diese ist ganz glatt und leuchtet nun förmlich. Auch dieser Eindruck hat sich in meinem Gedächtnis verewigt. Die Schönheit der Natur. Ich denke an das Gedicht „Mondlicht“ von Eichendorff und an meine Großmutter, der ich dieses Gedicht geschenkt habe, als ich damals, vor langer Zeit, erstmals in ein fremdes Land aufgebrochen bin.
Mein Fazit
So, oder auch völlig anders, kann ein Tag laufen. Der Tag eines Personalleiters auf einem Kreuzfahrtschiff mit sechshundert bis achthundert Mitarbeitern und circa zweitausend Gästen. Es war herausfordernd. Kein Tag gleicht dem anderem. So wie kein Mensch dem Anderen gleicht. Dennoch liebte ich die verschiedenen Menschen, Begegnungen und Gespräche.
24 Stunden. 5 Monate. Ein Vertrag.
Viva la vida.
Eure Seefrau Sandra
Zur Homepage von Seefrau Sandra geht es hier.
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